Der Bildungsreise-Pionier

Corona-Update

Medellín14. Juli 2020

Wolfgang Chr. Goede

 

Der Bildungsreise-Pionier

 

DKF Interview mit Markus Jobi, CEO der Reiseagentur Palenque Tours in Medellín: Über Pioniergeist, Deutsch-Sein, Corona-Optimismus.

Markus Jobi gehört zu Medellíns bunter Gemeinde von Expats. Viele sind mit Beginn der Corona Pandemie in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Markus Jobi, Begründer und CEO von Palenque Tours, ist geblieben. Ein Self-Made-Man, der mit seinem Studium der Lateinamerikanistik in Köln nach Medellín kam. Und dann, wie so viele andere deutsche Geschäftsleute in Kolumbien, die entweder gleich blieben oder nach kurzem Heimataufenthalt zurückkehrten, die Reiseagentur Palenque 2012 in Medellín gründete. Sie ist Repräsentant nationaler und internationaler Reiseveranstalter. Palenque hat einen umfangreichen Reisebaukasten für die verschiedenen Regionen und Attraktionen des Landes entwickelt. Daraus stellt es individuelle Reisepakete für Kleingruppen und Einzelreisende zusammen und betreut sie von der Ankunft am Flughafen bis zum Moment der Abreise. Die Zielgruppe für diesen Komplettservice sind Angehörige des gehobenen Mittelstandes, Menschen über 60 — Typus Bildungsreisende, die viel über die Kultur lernen und ihr Leben damit bereichern möchten. Ökologie, Naturschutz und nachhaltiges Reisen sind für Palenque Programm.

DKF: Lieber Markus, mit Palenque verbinden wir die berühmten Maya-Pyramiden in Mexiko. Wofür steht Palenque hier in Kolumbien?

MJ: So hießen die Dörfer entlaufener Sklaven bei Cartagena. Die haben wir zu unserem Markennamen gemacht.

DKF: Was sucht der typische Palenque-Reisende?

MJ: Drei Wochen lang Kolumbien erleben. Eine beliebte Route ist diese: Von den archäologischen Ausgrabungen in San Agustin via Kaffeezone nach Medellín. Der Hauptteil unserer Kunden kommt aus Nord- und Westeuropa, den USA und Kanada. Wobei die Europäer anspruchsvoller sind und gerade die Deutschen eher vom Typ Weltenbummler sind.

DKF:Was verlangt Ihr von Euern Reiseführern?

MJ:Die müssen sich auf dervonden Kundengewünschten Reiseroute nichtnurbestens auskennen. Sie müssen mit Menschen unterschiedlicher Kulturen auch gut umgehen können undCharme besitzen. Des Weiteren müssen sieimBesitz eines offiziellen Zertifikats für Reiseführung sein und dafür eine Ausbildung absolviert haben bei der SENA (Servicio Nacionalde Aprendizaje — eine Art landesweite Berufsschule). Dazu gehört auch ein Erste-Hilfe-Kurs. Als ich anfing,wardas Reisegewerbe inKolumbiennoch viel weniger reguliert mit Vorschriften. SiesindTeil der fortschreitenden Professionalisierung im ganzen Lande.

DKF: Die meisten Menschen auf der Welt verbinden Medellín auf Anhieb mit PabloEscobar, Mafia, Drogen. Wie geht Ihr als Reisebranche damit um?

MJ: Vor allem Netflix und die Narcos-Filme halten diesen Ruf am Leben. Davon profitieren Medellín wie auch der Tourismus. Die Escobar-Tourwirdvon vielen Reisenden nachgefragt. Das ist umstritten, gleichwohl können wir die Geschichte Medellíns nicht ignorieren, sondern müssen uns auch als Reiseagentur damit auseinandersetzen und Gästen entsprechendes anbieten. Vorbild dafür ist die Stadtverwaltung selbst mit dem Programm „Medellín abraza su historia“(Medellín umarmt seine Geschichte).Wovon wir uns allerdings fern halten sind Nachttouren, um uns und unsere Gäste von Prostitution und Drogen abzugrenzen und davor zu schützen.

DKF: Wenn ich mir Eure Webseite ansehe, dann seid ihr ja fast die Studiosus Bildungsreisen Kolumbiens.

MJ: Das ist richtig. Wir pflegen beste Beziehungen zu den Kultureinrichtungen der Stadt. Und bieten auch schon mal eine Lesung in einem gehobenen Hotel an zu Literatur oder zur sozialen Transformation der Stadt. Jüdischen Besuchern aus den USA konnten wir sogar den Blick in die jüdische Kultur Kolumbiens öffnen. Der Rabbiner der hiesigen Synagoge empfing uns und führte uns durch das jüdische Leben der Stadt.

DKF: Apropos Transformation, wenn man so lange wie du in Kolumbien lebt und so intensiv in Gesellschaft, Kultur, Geschichte eintaucht, wie ändert sich der Blick auf Deutschland?

MJ: In Deutschland bin ich nur noch Besucher. Wenn’s geht zu Weihnachten. Ich komme aus einem Städtchen bei Köln mit 4000 Einwohnern. Das tickt anders als Medellín. Hier in Kolumbien wird man mehr Patriot, weiß deutsche Pünktlichkeit, Verlässlichkeit mehr zu schätzen. Allerdings was ich hier aufgebaut habe, hätte ich in Deutschland nie geschafft. Deutsche sind von Natur aus zu pessimistisch, Projektarbeit erfolgt in perfektionistischer Überplanung. Das ist ein Killer. Absolut nichts darf schiefgehen und wenn man scheitert, ist man erledigt. Ein Verlierer.

DKF: Du hast viel mit Nordamerikanern wie auch den Einheimischen zu tun. Wie vergleicht sich die deutsche Mentalität mit deren?

MJ: Die US-Amerikaner sind Stehaufmännchen. Scheitern sie mit etwas, krempeln sie die Ärmel noch weiter hoch und gehen ans nächste Projekt. Die Latinos liegen so ein bisschen dazwischen, können Niederlagen gut wegstecken und sind Meister der Improvisation. Wenn sie eine Pizza backen wollen und keinen Ofen dafür haben, erfinden sie etwas Ofenähnliches. Und was herauskommt, ist essbar. Der Mix aus diesen drei Denk- und Herangehensweisen ist ein sehr fruchtbares Arbeitsfeld.

DKF: Das klingt alles sehr positiv. Wie geht ihr mit der Corona Pandemie und den Einbrüchen im Tourismus um?

MJ: Seit März haben wir unser Personal halbieren müssen. Das ist bedauerlich. Einbrüche ziehen aber auch Aufbrüche nach sich. Etwa den derzeitigen Digitalisierungsschub, dass wir nicht alle im Büro hocken müssen, sondern genauso gut von zu Hause arbeiten können. Die größere FlexibilitätimGeldverkehrundOnline-ZahlungssystemenwirdunsauchzuGute kommen.Ichbin optimistisch.DiesesJahr werden wirüberlebenund imHerbstfinden die ersten TouristenwiederihrenWegnachKolumbien.2021sindwir zurückbei fünfzig bis sechzigProzent, und 2022 wirdalleswiedernormal.

DKF: Wir wünschen viel Erfolg und danke für die spannenden Einblicke in die Palenque-Reisephilosophie.

https://palenque-tours-colombia.com/

Fotos (von oben nach unten): Startseite der Palenque-Webseite; Touristenattraktion Blumenfestival in Medellín (der August-Event-2020 findet virtuell statt); Palenque-Reisepaket; Palenque Gründer und CEO Markus Jobi. © mit freundlicher Genehmigung PalenqueTours